Ein Bundesbauministerium muss her

FAZ Artikel, 27. Oktober 2021

Wenn der Lockdown etwas off enbart hat, dann, dass die gebaute Hässlichkeit, Tristesse und Leblosigkeit unserer Städte an vielen Orten unerträglich geworden ist. Trotzdem diskutiert man nach der Bundestagswahl nicht, wer das Ressort des Bundesbauministeriums übernimmt, das fast 25 Jahre ein Anhängsel des Verkehrsministeriums, des Umweltministeriums und zuletzt des Innenministeriums ist. Dabei sind die Fragen des Städtebaus für den sozialen Zusammenhalt unserer demokratischen Gesellschaft von grundlegender Wichtigkeit. Wer einen „Aufbruch“ will, wie dies in Berlin von der Politik gefordert wird, der muss nicht nur die Finanzen und die Umwelt, sondern unsere reale Lebenswelt, die Welt unserer Straßen und Plätze politisch in Angriff nehmen.

Denn im heutigen Städtebau gibt es kaum einen neuen öff entlichen Stadtraum, in dem sich der Bewohner wohlfühlt. Er lebt lieber in den Häusern alter Stadtviertel der europäischen Stadt als im Neubauviertel unserer Zeit.

Ein Haus von 1890 ist mehr wert als ein Haus von 1990. Weil letzteres auf der Grundlage bundesdeutscher Städtebaugesetze der 1960er Jahre errichtet ist, die die Stadt in funktionale und „aufgelockerte“ Stadtbereiche aufteilen: hier wohnen, dort arbeiten, hat das Haus von 1990 weniger Lebensqualität als das Haus von 1890 (achtzehnhundertneunzig!). Schon der Mietpreis zeigt, dass unsere Gesellschaft es vorzieht, in Altbauvierteln zu wohnen, als in irgendeinem Neubauquartier. Das ist für die politisch Verantwortlichen unserer Städte bitter.

Es steht ihnen aber auch seit mehr als zwei Jahrzehnten kein Bundesbauministerium zur Seite, das sich um zeitgemäße Gesetzesgrundlagen des Städtebaus kümmern würde, damit angemessene, schöne, sozial ausgewogene, dichte und lebendige Stadträume errichtet werden können. (FAZ vom 1.9. 2016) Die Liste der Anforderungen an neue Gesetze, die ein Bundesbauministerium zu bearbeiten hätte, ist lang. Und sie ist überfällig. Sie einem Innenministerium unterzuordnen, ist geradezu abenteuerlich. Die Brisanz der gebauten Welt für ein demokratisches Zusammenleben aber scheint den politisch Verantwortlichen in Berlin nicht präsent zu sein. Oder wie ist es zu erklären, dass die Düsseldorfer Erklärung zum Städtebaurecht des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst, die von über 100 Baubürgermeistern, Planungsdezernenten und Planungsamtsleitern deutscher Städte unterschrieben wurde und die Änderung von Bundesbaugesetzen fordert (FAZ vom 7.5. 2019), in der Bundespolitik weitgehend ignoriert wird? In der Berliner Bundespolitik fühlt sich für den Städtebau keiner verantwortlich. Man spricht Einzelelemente der Stadtplanung an, diskutiert den Wohnungsmangel und die Höhe der Mieten, spricht im Rahmen des Klimawandels von grüner und blauer Stadt und seit Neuestem von „Schwammstadt“, vergisst aber dabei die existenziell wichtige Sozialfunktion des Städtebaus, die mit der Gestalt der Stadträume, der Plätze, Straßen und Höfe einhergeht.

Den Ministerien, die erheblichen Einfluss auf die Planung der Stadt ausüben, steht seit Jahrzehnten kein Bauministerium mehr gegenüber, das mit zeitgemäßen Gesetzesinitiativen die Entwicklung lebenswerter Stadträume ermöglichen würde. Dieses politische Defi zit bildet sich in direkter Weise in unserer gebauten Umwelt ab:

– Dass Straßenbauten mit ihren oft überdimensionierten Fahrbahnen Wohngebiete durchschneiden, dass sie nur der Funktion des Individualverkehrs genügen, ist mit einem Verkehrsministerium zu erklären, das städtebauliche Fragen weitgehend ignoriert. – Dass Wohngebiete ohne stadträumliche Qualitäten existieren, ist ebenfalls der Trennung der Bundesministerien in Verkehr und Planung zuzuschreiben. – Dass keine Gewerbehöfe errichtet werden, in denen sich, wie in der funktionsgemischten europäischen Stadt üblich, Kleingewerbe oder junge Startups ansiedeln können, verhindern u.a. Gesetze zum Lärmschutz, die vom Umweltministerium aufgestellt wurden. – Dass mit Wärmedämmsystemen Sondermüll produziert wird, anstatt auf eine Bauweise mit nachhaltigen Materialien zu setzen, ist auch auf den fehlenden Dialog zwischen dem Umweltministerium und einem Bauministerium zurückzuführen. – Dass im Eindruck des Klimawandels in neuen Wohngebieten keine städtischen Parks mit großem Baumbewuchs, keine Alleen oder Boulevards angelegt werden, ist ebenfalls der Trennung der Bundesministerien in Umwelt und Planung zuzuschreiben. – Dass es keine privaten Wohnhöfe gibt, ist u.a. den Bundesgesetzen zur Bebauungsdichte und den weltfremden Richtlinien zur Besonnung neu zu errichtender Wohnungen zuzuschreiben, die der Entstehung dieser Höfe entgegenwirken.

Unsere Baugesetze basieren auf der Ideologie der aufgelockerten Stadt der 1960er Jahre. Wenn es einen politischen Neuanfang in Deutschland geben soll, muss eine Änderung dieser Baugesetze erfolgen. Ohne ein Ministerium, das sich diesen Themen intensiv widmet, wird es keinen Aufbruch geben!

Prof. Christoph Mäckler, Prof. Dr. Wolfgang Sonne Deutsches Institut für Stadtbaukunst

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Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt No. 12 — Die Grüne Stadt

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Von Haus aus missglückt