Stadtraum und Fachkompetenz

14. Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt, 7./8.05.2024 – Ein Rückblick
VON MATTHIAS fRINKEN

Ausgangspunkt zur Vorbereitung der 14. Konferenz des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst Frankfurt / M. in der Düsseldorfer Rheingoldhalle von Wilhelm Kreis (1926) war das Unbehagen darüber, dass in unseren Städten immer wieder Diskrepanzen festzustellen sind zwischen formu-lierten stadtplanerischen Zielvorstellungen und dann tat-sächlich umgesetzten städtebaulichen Realitäten. Dies gilt für die bauliche Weiterentwicklung innerstädtischer Bestandsquartiere ebenso wie für viele Neubauquartie-re. Zu beklagen sind in der Lehre zu wenig ausformulier-te Städtebau-Angebote und in der kommunalen Praxis zu wenig korrigierende städtebauliche Expertise und Beratung in Planungs- und Genehmigungsprozessen. Zu oft wer-den außerdem städtebauliche Zielsetzungen während der Umsetzungsphase von technischen Fachplanungen konter-kariert, vor allem durch den Sektor Verkehrsplanung.

Auf früheren Konferenzen wurden in der „Kölner Erklärung“ 2014 oder der „Düsseldorfer Erklärung“ 2019 bereits sehr ähnliche Kritikpunkte an dem Umfeld der eige-nen Städtebau-Disziplin zusammengefasst. Das provozierte jeweils lautstarke Gegendarstellungen von vielen Fachkol-leg:innen. Letztlich haben die Planungsdisziplinen profitiert von diesen teils vehement geführten Argumentationen in den letzten Jahren. Jedoch hat eine gewisse Polarisierung stattgefunden zwischen einer ästhetisch-stadtbaukünstleri-schen und einer eher an Beteiligung, Verfahren und Ergeb-nisoffenheit orientierten Planungsauffassung, die sich einer konkreten städtebaulichen Steuerung eher entzieht. Die 14. Konferenz hatte sich das Ziel gesetzt, die aktuellen Ten-denzen erneut zu beobachten sowie eine höhere Ausbil-dungsqualität und Zielorientierung bei der Herstellung qua-litätvoller städtebaulicher Räume zum wiederholten Male anzumahnen.

Ein wesentlicher Forschungsgegenstand des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst ist die „Europäische Stadt“, die in unserem Kulturraum geprägt ist von einer Trennung öffentlicher und privater Räume, von Plätzen und Straßen-räumen mit qualitätvollen Rändern – eben Fassaden von Bürgerhäusern auf deutlich ablesbaren Parzellen, kleinteili-ger Nutzungsmischung und damit einer großen Vielfalt an beteiligten und gestaltenden Akteuren.

Die Maßstäblichkeit ist bestimmt von Rathäusern und Kirchen als sogenannten Hochpunkten, Märkten und Topografie. Darüber hinaus werden die schnell wachsen-den Städte des 19. Jahrhunderts mit ihren Blockstrukturen sowie auch Stadttypologien außerhalb des Spektrums der streng funktionalistischen Moderne untersucht. Dies wird durch Analysen historischer und auch moderner und aktu-eller Stadt-Typologien in einer Vielzahl von Veröffentlichun-gen belegt.

Die Konferenz I

Vor diesem Hintergrund erfolgten auf der Konferenz das Eingangsstatement und die fachlichen Inputs der Veranstal-ter. Das Postulat nach klaren städtebaulichen Raumbildun-gen als sozialen und Begegnungsräumen in den Städten wird ergänzt um jüngere Forschungsergebnisse des Insti-tuts zu städtischen Gebäudetypen, die diese unterstützen können. Hinweise auf Wohnumfelder und Erschließungs-flächen belegen zusätzlich, wie wichtig das Entwerfen und die Herstellung von Stadträumen für das Wohlbefinden, Zusammenleben und Agieren in der Stadt sind. Die Not-wendigkeit kompakter und dichter Bauweisen in Quar-tieren mit eindeutigen öffentlichen Straßenräumen sowie grünen Innenhöfen mit Nischen für Privatheit, Erholung und Spiel wird hervorgehoben. Insbesondere im Mietwoh-nungsbau ist zu beklagen, dass solche Räume kaum noch eine Rolle spielen im rationalisierten Planungs- und Baupro-zess mit glatten Fassaden vorn und hinten und hunderten gleicher Fensterformate. Auch die in letzter Zeit favorisier-ten sog. Hybriden Städtebaulösungen haben ihre Tücken – oft muss Verkehr tief in Blöcke hineingezogen werden, und es entstehen eben keine öffentlichen und privaten Räume.

In den Beiträgen aus dem Umfeld der Hochschulen wird die Ausbildungssituation im Fach „Städtebau“ beleuchtet. Tatsächlich werden mittlerweile gut 50 Ausbildungs- und Studiengänge zu Architektur und Stadtplanung, Raumord-nung und Stadtforschung angeboten. Vielfach ist es mög-lich, diese Studiengänge zu absolvieren, ohne sich jemals mit einem städtebaulichen Entwurf zu befassen. Oft stehen die Erforschung der Komplexität von Stadt, rechtliche oder Verfahrensfragen sowie natürlich auch soziale, gesundheit-liche, funktionelle oder kulturelle Themen im Mittelpunkt. Die Stadt als gebauter Raum kommt da oft zu kurz. Die Betrachtung von Daten und auch die Begleitung von formellen und informellen Planungs- und dialogorientierten Verfahren bedeutet aber längst nicht, dass Stadträume entwickelt werden können oder ein Verständnis für die Ele-mente europäischer Stadtbaukultur entsteht.

Das Städtebaureferendariat ist ebenfalls vorrangig auf die Vermittlung rechtlicher Aspekte der Stadtplanung aus-gerichtet. Die Kammern der Länder weisen jedoch darauf hin, dass erst der Nachweis einer längeren Berufspraxis dazu befähigt, überhaupt auf deren Stadtplaner-Listen zu kommen. Spätestens dort wird auch eine gewisse Städte-bau-Kompetenz abgefragt.

Aus den teilnehmenden Kommunen an der Konfe-renz wird sehr unterschiedlich auf diese Ausgangsthesen reagiert. Manche betonen (z.B. Düsseldorf), dass sie einen sehr motivierten und interessierten Nachwuchs aus den Hochschulen begrüßen können. Andere beklagen, dass im Alltag der Erledigung der kommunalen Pflichtaufgaben für eine vertiefende Beratung zu städtebaulichen Gestaltungs-fragen einfach kaum Zeit bleibt. Das gilt dann auch für eine kontinuierliche eigene Weiterbildung, für die Betreuung externer Expertise in Form von Gestaltungsbeiräten oder einer Schwerpunktbildung auf städtebauliche Gestaltungs-fragen in internen integrierten Arbeitsprozessen.

Exkurs: städtebauliche Dichte

Ein besonderer Aspekt, der im Zusammenhang mit einer Neubesinnung auf Städtebau und Stadtbaukunst durch das Institut mit angestoßen wurde, war und ist eine kriti-sche Betrachtung der normativen Gegebenheiten für den Umgang mit einer städtebaulichen Dichte. Nachdem es in der Stadtbaugeschichte in der Zwischenkriegszeit und auch später eine erhebliche Kritik an den oft überbelegten und mit störendem Gewerbe durchzogenen gründerzeitlichen Mietwohnungsbau in Baublöcken gab, dokumentiert z.B. durch Manifeste wie die „Charta von Athen 1933“ oder auch Texte zur „Gegliederten und aufgelockerten Stadt“, Göderitz u.a. 1957, wurden in den 1960er Jahren die gesetzlichen Grundlagen dafür festgelegt, Städtebau bis heute nur noch mit relativ geringen Dichten zuzulassen. Mit den geringen Dichtewerten wurden aber Rechenmo-delle zur Bodennutzung fixiert, die der historischen, sozi-alen, kulturellen und auch ökonomischen Komplexität der europäischen Stadt in keiner Weise gerecht wurden. Schon bald gab es daher erhebliche Kritik, die hier nur ansatz-weise mit dem Hinweis auf die o.g. „Düsseldorfer Erklä-rung“ 2019 angedeutet werden kann. Heute gibt es kaum noch Überbelegung im Mietwohnungsbau oder Toiletten auf halber Treppe, auch keine Fabriken im Innenhof. Wir können und müssen daher innerstädtische Block- und Hofstrukturen mit kleinteiligen Parzellierungen neu den-ken. Die „Kreuzberger Mischung“ kann da als positives Bild herangezogen werden, ein Nebeneinander von heute nicht störendem Gewerbe in den Höfen ebenso wie neu-en Wohnformen mit Start-ups, Homeoffice, Wohngruppen und multikultureller Vielfalt dicht nebeneinander.

So bleibt als ein Grundthema der Stadtbaukunstkonfe-renzen die Frage bestehen, inwiefern die Rückbesinnung auf klare Raumstrukturen zwingend als Grundlage für eine Neubewertung der Erfahrungen mit der europäischen Stadt gelten kann – oder ob sich die gebaute Stadt eher wie von selbst in Varianten und fließend aus Dialog, Betei-ligung und Abwägung ergibt. Nach Meinung des Verfas-sers ist beides notwendig, um sich als Bürger frei, sicher und gesund im städtebaulichen Raum bewegen, diesen konfliktfrei nutzen und sich entfalten zu können. Nach den Leitbild- und Beteiligungs-Dialogen muss der urbane Raum abgeleitet und entworfen werden. Die Erfüllung der verbal formulierten Ziele im Raum ist absolut als Stadtbaukunst anzuerkennen. Insbesondere die Herstellung eindeutiger öffentlicher und privater Räume muss hier im Vordergrund stehen.

Leider werden in manchen kritischen Beiträgen diese Positionen gegeneinander ausgespielt, indem die Städ-tebauer als konservativ, die ergebnisoffen und prozess- orientierten Planungsansätze dagegen als demokratischer bezeichnet werden. Beiden „Lagern“ wird aber gleichzeitig durchaus attestiert, sich in den Traditionen der europäischen Stadt und ihrer kulturellen Werte zu bewegen.

Der Verfasser möchte daher an dieser Stelle auf eine ganz andere Art konservativen Stadt- und Städtebau-Ver-ständnisses aufmerksam machen. Das tritt z.B. darin zu Tage, wenn mit Bezug auf Planungsinstrumente wie die BauNVO mit allen juristischen Tricks in sogenannten Reinen Wohngebieten Kindertagesstätten oder Flüchtlingsunter-künfte verhindert werden sollen oder in Kerngebieten in den Innenstädten trotz Leerstands ganzer Blöcke zur Siche-rung hoher Bodenwerte die Integration von mehr Wohn- oder Mischnutzungen behindert wird.

Unsere Instrumente müssen also in Bezug auf Dichte, Mischung, eventuelle temporäre Erfordernisse flexibler handhabbar werden. Eine Stadt ist immer in Bewegung, in Veränderung begriffen. Sie lebt durch Brüche, Vielfalt, Widersprüche, ist eigentlich immer ein Ort der Mischung. Eine einzige monofunktionale oder technologische Kategorie reicht nicht aus, um das Bild der europäischen Stadt zu beschreiben oder zukunftsfähig zu gestalten.

Die Konferenz II

In den konkreten Beiträgen aus den teilnehmenden Kom-munen werden auf der Konferenz Beispiele vorgestellt, die Wege eines integrierten Planungsprozesses mit intensiver Beteiligung bis hin zur städtebaulichen Umsetzung auf-zeigen. Dabei sind jeweils diejenigen Beispiele besonders beeindruckend, in denen die Kommunen selbst über den Grund und Boden verfügen, den Planungsprozess steuern und auch selbst eine Parzellierung, die Grundstücksver-gabe und Gestaltungsvorgaben definieren und einhalten. Hier wären vorrangig zunächst die Beispiele aus Ham-burg, Münster und Nordhorn zu nennen, um gleich meh-rere Größen von Städten und Gemeinwesen zu berück- sichtigen.

Allen Teilnehmern ist jedoch auch bewusst, dass es parallel zu den vorgestellten guten Projekten und Planun-gen immer auch Gegenbeispiele in den Städten gibt, z. B. wenn städtebauliche Verträge nicht eingehalten werden oder Investoren versuchen, Partikularinteressen durchzu-setzen, die nicht oder kaum an Gemeinwohl, Schönheit oder Lebensfähigkeit von Stadt orientiert sind. Wie bereits gesagt, die Stadt lebt nicht nur von Widersprüchen und Brüchen – sie muss diese auch aushalten und verhandeln.

So sollen einige kleine Stichworte als Fazit festgehalten werden:

  • Die bislang 14 Konferenzen des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst belegen die Zielsetzung, Städtebau in Deutschland „alltagstauglich, wertvoll und schön“ anzulegen, wie die Frankfurter Rundschau schon 2010 nach der ersten Konferenz festgestellt hat.

  • In der Ausbildung von Architekten, Stadtplanern und anderen raumbezogenen Planungsberufen müssen Städtebau und Stadtbaugeschichte einen höheren Stellenwert erhalten.

  • Das gilt auch für die Ausbildung in den Berufsbildern der Immobilienwirtschaft.

  • Es ist mehr Forschung anzulegen in Fragen der Zusammenhänge von Stadttypologien und sozialem Leben, Wohlbefinden und Lebensqualität.

  • Es ist ebenso zu beforschen und zu begleiten, ob und inwiefern die jüngere Fortschreibung der Planungsin- strumente mit höheren Dichten (Urbane Gebiete) zu besseren städtebaulichen Lösungen mit höherer Lebensqualität führt.

  • Die Zusammenhänge zwischen integrierten Planungsprozessen, der Erarbeitung von Leitbildern und komplexen Handlungskonzepten und in der Folge tatsächlich realisierten städtebaulichen Räumen sind intensiver zu reflektieren und zu kommunizieren.

Matthias Frinken, SRL, Hamburg, Wiss. Beirat des Instituts für Stadtbaukunst

Die Ergebnisse der 14. Konferenz werden 2025 veröffentlicht. Ein Termin und ein neuer Ort für die 15. Konferenz stehen bereits fest: 1. / 2. Juli 2025 im Poelzig-Bau der Goethe-Universität in Frank-furt / Main.

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Podiumsdiskussion KON14: Wer baut die Städte der Zukunft?