FÜNF BEDINGUNGEN ZUR SCHÖNHEIT DER STADT IN FÜNF MINUTEN
Es gibt ein kollektives Gespür für die Schönheit der Stadt. Was also sind die grundlegenden Voraussetzungen für einen menschenwürdigen schönen Städtebau?
Wenn uns jemand strahlend davon berichtet, dass er nach Florenz fährt, so meint er nicht etwa die Neubauviertel, sondern er spricht von der Stadt der Medici, vom Zentrum der Stadt also. Das gleiche gilt für jede andere unserer europäischen Städte, denen wir einen Besuch abstatten. Es gibt also offenbar ein kollektives Gespür für die Schönheit der Stadt, sonst könnte mit der Aussage „nach Florenz“ zu fahren vielleicht auch ein Neubauviertel am Rande des alten Zentrums gemeint sein.
Dieses kollektive Gespür lässt uns die Schönheit einer Stadt wahrnehmen – wir können uns in einem städtischen Raum wohl fühlen, erklären aber, was Ursache für unser Wohlbefinden ist, vor allem aber welcher Kriterien es bedarf, einen schönen Stadtraum zu entwerfen, damit wir uns in ihm wohl fühlen, können wir ohne ein gründliches Studium der europäischen Stadt und ihrer Architekturen nicht. Und dies sollte als Chance gesehen werden. Es bedeutet aber auch, dass das Wissen um die Schönheit der Stadt nicht durch ein Befragen der Bürger ersetzt werden kann. Schöne Stadträume sind nicht nur mit Beteiligungsprozessen zu entwickeln. Und wenn der Text von Bedingungen zur Schönheit der Stadt spricht, so stellt er aber nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Was also sind die grundlegenden Voraussetzungen für einen menschenwürdigen schönen Städtebau?
1. SCHÖNHEIT DURCH RAUMBILDUNG
Eine der ersten Bedingungen für die Schönheit der Stadt stellt die konkrete räumliche Fassung ihrer öffentlichen Straßen und Plätze dar. Diese erfolgt durch die Häuser, die die Straßen und Plätze einfassen und sie zu Räumen, zu Straßen- und Platzräumen werden lassen.
Wie der Wohnraum, in dem die Familie zusammenkommt, so ist der Platzraum der Ort, an dem sich die Bewohner der Stadt treffen, feiern, demonstrieren oder sich einfach nur zufällig begegnen. Der städtische Raum hat damit also auch eine soziale Funktion, die in dem Bemühen heutiger Stadtplanung völlig unterschätzt wird.
Und wie man einen Wohnraum mit zu vielen Öffnungen als ungemütlich und damit als unschön empfindet, so fühlt sich dies für den Bewohner einer Stadt auch im ungeordneten, ungefassten Stadtraum an.
Die Schönheit der Stadt hat also nicht nur etwas mit der Ästhetik ihrer Häuser zu tun. Vielmehr ist die Raumbildung eines ihrer wesentlichen Kriterien. Das Nichtvorhandensein der Raumbildung in unseren Neubauvierteln lassen diese deshalb auch weniger attraktiv erscheinen als die Räume alter Stadtteile, wie wir sie beispielsweise in Bornheim, Bockenheim oder Sachsenhausen finden.
2. SCHÖNHEIT DURCH LEBENDIGKEIT
Darüber hinaus bedarf es weiterer Kriterien des Städtebaus, auf die an dieser Stelle nur kurz eingegangen werden kann, die aber von besonderer Wichtigkeit für die Lebendigkeit der Stadt sind. Es sind dies die Dichte, die soziale Vielfalt und die funktionale Mischung.
Das vielfältige Leben im öffentlichen Raum entsteht durch die funktionale Mischung, wie sie beispielsweise in der Schweizer Straße in Sachsenhausen oder dem Oeder Weg im Nordend Frankfurts zu finden sind. In diesen Straßen wird gewohnt und am Tage auch gearbeitet. Startups, Backstuben, Werkstätten in den rückwärtigen Anbauten und Höfen bilden die Keimzelle städtischen Lebens in den Straßen unserer Städte. Und natürlich bedarf es auch einer gewissen Dichte, wie wir sie in den genannten Straßen finden. Eine Metzgerei oder ein Restaurant beispielsweise können nur dort existieren, wo viele Menschen leben und arbeiten. Im Zeitalter des Autoverkehrs sind wir darüber hinaus auf funktionsfähige Straßen angewiesen. Dies gilt vor allem in kleinen Städten, wie Frankfurt, die ohne ihr Umland nicht lebensfähig sind.
3. SCHÖNHEIT DURCH REIHUNG UND SYMETRIE
Mit den 68er Jahren sind die Begriffe „Reihung und Symmetrie“ in der Stadtplanung in Verruf geraten. Für das menschliche Auge aber erfüllen Reihung und Symmetrie ein wesentliches Kriterium der Schönheit.
Bäume, die in regelmäßigem Abstand voneinander gepflanzt werden, können einen Straßenraum mit hässlichen Häusern zu einer prachtvollen Allee werden lassen.
Einen der schönsten Räume, die durch Reihung und Symmetrie entstanden sind, findet sich in Sachsenhausen am Schaumainkai. Im Abstand von knapp 6 Metern stehen in einer Länge von eineinhalb Kilometern auf dem Hoch Kai doppelreihig geschnittene Platanen und prägen das Bild der Stadt Frankfurt am Main. (Da es sich um geschnittene Platanen handelt, bedürfen sie einer dauerhaften jährlichen Pflege, ohne die die Schönheit einer Stadt prinzipiell nicht auskommt!)
Dem vergleichsweise niedrigen Platanendach setzte man seinerzeit in der Planung hochgewachsene Pappeln entgegen. In Symmetrie gepflanzt und hoch aufragend markierten die Doppelpaare die Abgänge zum Main und rhythmisierten bis zu ihrer Fällung in den 1970er Jahren das lange Band der Platanenallee.
4. SCHÖNHEIT DURCH MATERIAL UND FARBE
Die Schönheit des städtischen Raumes wird durch die Straßenfassade eines Hauses bestimmt und benötigt „dauerhafte“, nicht aber „nachhaltige“ Fassaden.
Schon aus ökologischen Gründen und auch das kann hier nur beiläufig erläutert sein, sollten Aluminium- Glasfassaden nur in Ausnahmefällen Anwendung finden. Ihr Energieaufwand bei der Herstellung ist immens, vor allem aber ist der Energieeintrag in das Gebäude um ein Vielfaches größer als bei herkömmlichen Stein- und Putzfassaden mit einer angemessenen Befensterung.
Die Schönheit eines Stadtbildes wird für den Betrachter auch durch die Gewohnheit an den immergleichen Ort bestimmt. Man stelle sich nur einmal vor, die Häuser des Mainprospektes wären mit Aluminium-Glasfassaden versehen worden. Dies hätte zur Folge gehabt, dass sich das Aussehen der Stadt am Main in den vergangenen Jahrzehnten ständig verändert hätte. Die Schönheit liegt hier im Erhalt des Stadtbildes am Main mit seinen weiß verputzten Häusern. Trotz Kriegszerstörungen und der Ergänzung mit den Häusern des klassizistischen Fischerfeldviertels, das nach einem Baustatut von 1809 nach den Prinzipien des Klassizismus errichtet wurde, hat sich das Aussehen des weiß verputzten Frankfurter Mainprospektes kaum verändert.
Die Frankfurter Brücken über den Main sind mit rotem Mainsandstein verkleidet und werden durch Stahlteile in grüner Eisenglimmerfarbe ergänzt. Es gibt nur diese beiden Farben. Material und Farbe aller Brücken über den Main bilden damit einen Ensemble-Charakter und tragen zur Schönheit der Flusslandschaft bei. Wie sehr andere Farbtöne diese Einheit zerstören, lässt sich in der Überlegung studieren, den Eisernen Steg in roten, weißen und blauen Farbtönen zu streichen, also in den Farben des 1990 errichteten Holbeinstegs.
5. SCHÖNHEIT UND SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT
Das Beispiel Holbeinsteg zeigt, wie wichtig das städtebauliche Verständnis für einen Ort ist, bevor der Architekt oder der Ingenieur zu arbeiten beginnt. Nicht die persönliche Vorliebe für bestimmte Formen, Farben und Materialien, sondern das Bewusstsein für den Ort und seine Geschichte lassen ein Bauwerk zum Teil eines städtischen Ganzen werden und tragen damit zur Schönheit des Wohnraumes Stadt bei.
Erschienen im Journal Frankfurt Nr. 04/2025